Testbetrieb des Multikopters in Sinbronn rückt näher
Surrend und wie an der Schnur gezogen steigt der Multikopter senkrecht in die Luft, dem nächsten Einsatz entgegen: Was sich vor ein paar Jahren noch wie Science-Fiction angehört hat, könnte am Luftrettungsstandort Sinbronn bei Dinkelsbühl bald Realität werden. Als eine von zweien in ganz Deutschland hat die ADAC Luftrettung den Rettungsdienstbereich Ansbach, dem neben dem Landkreis Ansbach auch der Landkreis Neustadt/Aisch-Bad Windsheim sowie die Stadt Ansbach angehören, zum Modellgebiet ausgewählt. Die gemeinnützige Organisation plant auf einem Nachbargrundstück der bisherigen Luftrettungsstation, am Einsatz von bemannten Multikoptern für den Rettungsdienst zu forschen. „Das schlagende Argument für einen Multikopter ist die Geschwindigkeit. Die Erprobung ist daher gerade in flächengroßen Regionen wie der unseren sinnvoll. Es freut mich, dass der Rettungsdienstbereich Ansbach vorn dabei ist. So testen wir, wie modernste Technologie im ländlichen Raum eingesetzt werden kann“, sagt Landrat Dr. Jürgen Ludwig, der auch Vorsitzender des zuständigen Zweckverbands für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung ist. In dessen Auftrag wird der Luftrettungsstandort von der ADAC Luftrettung betrieben. Was den erforderlichen Grundstückskauf betrifft, steht die ADAC Luftrettung aktuell in engem Kontakt mit der Stadt Dinkelsbühl. Mithilfe der Stadtverwaltung können die Grundstücke für das Projekt erworben werden. Auch das gemeindliche Einvernehmen wurde seitens der Stadt eingeholt.
Hintergrund des zukunftsweisenden Pilotprojekts ist die weltweit erste Machbarkeitsstudie über das Potential von elektrisch angetriebenen, senkrechtstartenden Fluggeräten (eVTOLs) für die schnelle Hilfe aus der Luft. An dem Projekt arbeitet die ADAC Luftrettung seit 2018 zusammen mit dem deutschen Fluggerätehersteller Volocopter. Dazu wurden seinerzeit in Deutschland zwei Modellregionen ausgewählt: der Rettungsdienstbereich Ansbach mit dem Luftrettungsstandort Dinkelsbühl in Bayern und Idar-Oberstein in Rheinland-Pfalz. „Wir sind nach den bisherigen Erfahrungen überzeugt davon, dass Fluggeräte wie der VoloCity auch den Rettungsdienst der Zukunft prägen und verbessern können“, betont Geschäftsführer Frédéric Bruder. Mit höheren Zuladungen und Einsatzgeschwindigkeiten sowie deutlich mehr Reichweite der nächsten Multikopter-Generation könnten die Vorteile für die Notfallversorgung laut Studie auch in der Praxis umgesetzt werden.
Für den bemannten Einsatz im Rettungsdienst hat die ADAC Luftrettung bereits zwei Multikopter des Typs VoloCity bestellt. Nach aktuellen Planungen soll der erste 2025 ausgeliefert werden. In den Modellregionen sollen dann wichtige Erkenntnisse für den Einsatz der Fluggeräte für den Rettungsdienst gewonnen werden. Nach erfolgreichem Abschluss eines mindestens zweijährigen Forschungsbetriebs könnte das Multikopter-Projekt dann mit einem Nachfolgemodell in den Rettungsdienst-Regelbetrieb gehen – und dort eine sinnvolle Ergänzung zu den bisherigen Strukturen im Rettungsdienst sein. „Zunehmende Besetzungsprobleme der Notarzt-Dienste, längere Eintreffzeiten und ein hoher Kostendruck kennzeichnen die Situation. Die Bürger müssen aber in kritischen Situationen zeitgerecht versorgt werden können“, so Landrat Dr. Jürgen Ludwig. „Auf die Erkenntnisse aus dem praktischen Betrieb sind wir daher sehr gespannt.“ Und auch der Dinkelsbühler Oberbürgermeister Dr. Christoph Hammer sieht im Projekt einen wichtigen Schritt: „Durch die Ausdünnung der Krankenhauslandschaft wird die Hilfe aus der Luft essentiell für die Sicherung der medizinischen Versorgung im ländlichen Raum und im Ballungsraum sein. Ich bin mir sicher, dass, wenn wir im ersten Schritt damals nicht den Rettungslandeplatz in Sinbronn – nach langem Ringen und dank des Bayerischen Innenministers – hinbekommen hätten, heute nicht der zweite Schritt folgen würde!“
Die von der ADAC Stiftung geförderte Machbarkeitsstudie konnte 2020 erstmals einen einsatztaktischen Vorteil von Multikoptern im Rettungsdienst theoretisch belegen: Deutliche Verbesserungen für die Notfallversorgung ergeben sich ab einem Einsatzradius von 25 bis 30 Kilometern. Die optimale Fluggeschwindigkeit des Multikopters sollte in diesem Fall bei mehr als 150 Stundenkilometern, die Mindestreichweite bei rund 150 Kilometern liegen. Im Vergleich zu einem Rettungshubschrauber ist ein Multikopter leiser und emissionsärmer und daher auch unter dem Aspekt von Nachhaltigkeit und Reduzierung des CO2-Abdrucks eine große Chance für die Luftrettung. Zudem ist der Betrieb eines Multikopters deutlich kostenreduzierter möglich.
„Der Multikopter soll ausdrücklich nicht den Rettungshubschrauber und auch nicht das bodengebundene Rettungswesen ersetzen, sondern die schnelle Hilfe aus der Luft ergänzen“, betont Landrat Dr. Ludwig abschließend.